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Standortkoeffizient Handel

Wo befinden sich die bevorzugten Handelsstandorte in Tirol?

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Wegweiser zum Gewerbegebiet Neu-Rum (© Jan Stirnweis)

Die Entwicklung des Tiroler Handels ist in den letzten 50 sehr dynamisch und weitgehend parallel zur Situation in anderen europäischen Ländern verlaufen. Die positive Wirtschaftsentwicklung, die starke Steigerung der Haushaltseinkommen, gestiegene Konsumansprüche, technischer Fortschritt, ein gesteigertes Mobilitätsbedürfnis, Modetrends und demographische Faktoren wie die Familiengröße haben dazu beigetragen. Der Tourismusboom, der zusätzliche Kunden und Trendsetter im (Luxus)Konsumbereich in das Land gebracht hat, unterstützte den Aufwärtstrend und ermöglichte die Existenz von Geschäften in relativ dünn besiedelten, ländlichen Gegenden.

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Quelle: Statistik Austria, Arbeitsstättenzählung 2001.

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Quelle: ISTAT, Censimento industria e servizi 2001.
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Filiale der Hofer Handelskette mit Kundenparkplatz (© Jan Stirnweis)

Nordtirol schottete sich durch politische und raumplanerische Maßnahmen lange Zeit bewusst gegen europäische Entwicklungen in der Handelsbranche ab. Die zunehmende Konzentration der Verkaufsflächen in "Riesen(fach)märkten auf der grünen Wiese" mit zunehmender Selbstbedienung und die Verringerung der unabhängigen Unternehmen durch Filialisierung und Franchising* sowie die Entwicklung von integrierten Shopping Centers** setzte in Nordtirol erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Nach dem EU-Beitritt Österreichs und der Ostöffnung kam der Strukturwandel allerdings massiv in Gang und das Warenangebot und das Preisniveau passte sich zunehmend an europäische Standards an. Die früher sehr beliebten Einkaufsfahrten nach Bayern und Südtirol wurden zunehmend überflüssig. Das DEZ im Innsbrucker Osten, das 1970 als erstes Einkaufszentrum Österreichs geründet wurde, übt mittlerweile eine so starke "Sogwirkung" aus, dass sich das Wirtschaftsforschungsinstitut Bozen im Jahr 2005 zu einer Studie über den Kaufkraftabfluss aus Südtirol veranlasst sah. An Samstagen sind laut dieser Erhebung bis zu einem Drittel der 2.800 DEZ-Parkplätze von Südtiroler Autos belegt. Insgesamt ballten sich 2005 im DEZ 41.600 m2 Verkaufsfläche und die Kundenfrequenz betrug 20.000-25.000 pro Tag. Österreichische Handelsfirmen (z.B. Libro, Lutz, Intersport) haben ebenfalls die Chancen der Marktöffnung ergriffen und sind vor allem auf dem (süd)deutschen Markt tätig geworden, im Möbelsektor teilweise sogar an führender Position. Eine aus Tiroler Sicht erfreuliche Tatsache ist, dass sich auch Handelsketten mit regionalem Hintergrund im Wettbewerb durchsetzen konnten (z.B. M-Preis, Baguette, Hörtnagl) und mittlerweile zu den Großen im Innsbrucker Raum gehören.

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IKEA, Innsbruck (© Jan Stirnweis)

Die Hauptstandorte des Handels in Tirol befinden sich in und im Umfeld von Innsbruck und Bozen. Obwohl beide Landeshauptstädte nur eine durchschnittliche Konzentration von Arbeitsplätzen im Handel aufweisen, so darf man nicht vergessen, dass Innsbruck in absoluten Zahlen knapp 13.000 oder rund 26 % aller Nordtiroler Beschäftigten der Branche aufweist. In Bozen liegt dieser Wert bei ca. 11.500 oder knapp 32 % aller Südtiroler Arbeitskräfte im Handel. Sehr hohe Standortkoeffizienten finden sich in den unmittelbaren Umlandgemeinden der Landeshauptstädte. In Neu-Arzl, Neu-Rum, Thaur und Hall im Osten von Innsbruck sind in der Nähe der Autobahnanschlussstellen Innsbruck Ost und Hall West umfangreiche Gewerbegebiete mit Fachmärkten für Nahrungsmittel, Hausrat und verschiedenste Gebrauchs- und Verbrauchsgüter entstanden, die mit dem Shopping Center DEZ und den Handelsstandorten in der Rossau zu einem großen "Einkaufsparadies" verschmolzen sind. Im Jahr 1993 wurde als Gegenpol im Westen der Stadt, direkt an der Autobahnanschlussstelle Innsbruck-Kranebitten, das Einkaufszentrum Cyta auf dem Gemeindegebiet von Völs gegründet, das nach anfänglichen Schwierigkeiten (falscher Mietermix) dynamisch gewachsen ist.

Die Schattenseite dieser Handelskonzentrationen an der Peripherie der Landeshauptstädte ist das Aussterben kleiner Lebensmittel- und Gemeischtwarenhändler im ländlichen Raum, deren Funktion zunehmend von ambulanten Tiefkühlkosthändlern und von den Tankstellenläden übernommen wird, die immer mehr zu modernen Backwaren- und Lebensmittelgeschäften ausgebaut werden. Solche Rückzugstendenzen des Handels lassen sich besonders gut im Lechtal und anderen Teilen des Außerferns nachweisen, teilweise aber auch in Osttirol, im Vinschgau und im Hochpustertal. Tourismusgemeinden, z.B. in den Seitentälern des Oberinntales und des Vinschgaues, müssen ebenfalls um den Bestand ihrer lokalen Handelsunternehmen fürchten, was negative Rückwirkungen auf die Tourismuswirtschaft haben kann. Die Wirtschaftspolitik in beiden Tiroler Landesteilen muss also in Zukunft auf die Stützung der ländlichen Handeltreibenden achten, um auch der nichtmotorisierten Bevölkerung (v.a. ältere, alleinstehende Pensionisten) einigermaßen annehmbare Versorgungsmöglichkeiten bieten zu können. Trotz alledem kann man aber die Nahversorgungssituation gerade in Südtirol immer noch als einzigartig im Vergleich zu anderen ländlichen Gebieten in Europa beschreiben, was sich in einer vergleichweise ausgewogenen Verteilungvon Handelsaktivitäten im Raum (viele Gemeinden mit Standortkoeffizient nahe 1) manifestiert.

* Franchising bezeichnet eine Geschäftsmethode bei der ein Franchise Geber, meist ein Großunternehmen mit weit verzweigter Filialstruktur (im Handel z.B. Obi und Benetton; sehr bekannte Franchise-Geber sind die Gaststättenketten Mc Donald's und Burger King), einem kleinen Franchise-Nehmer die Nutzung seines Geschäftes Konzeptes gegen Entgelt gestattet. Man spricht deshalb auch von Konzessionsverkauf.

** Shopping Center sind Einkaufszentren, die dem Bedürfnis der Kunden "alles unter einem Dach" an einem Standort zu finden bei möglichst komfortabler Anreise mit Parkplatz/Parkhaus direkt vor dem Eingang entgegenkommen. Es wird versucht ein möglichst breites Warenangebot und verschiedenste Vertriebsformen vom Discounter bis zum Fachgeschäft, vom Warenhaus bis zum Supermarkt anzubieten. Gerade in jüngster Zeit hat die Entwicklung von Handels-Weltkonzernen wie IKEA und Hennes & Mauritz (H & M) neue internationale bis globale Maßstäbe gesetzt, die zu einer nochmaligen Unternehmenskonzentration bei gleichzeitiger Ausweitung der Verkaufsflächen geführt. Standorte dieser Weltfirmen sichern heute zunehmend den Erfolg von großen Einkaufszentren und dienen als Kristallisationspunkt für die räumliche Konzentration des Handels.

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